Tamoor Zafar

"In all den Jahren war Aufgeben für mich keine Option"

Tamoor Zafar kam als Flüchtling nach Deutschland und ist heute examinierter Altenpfleger im Kortheuer-Haus in Usingen.

Tamoor Zafar kam 2015, mit nur 15 Jahren, nach mehrmonatiger Flucht aus Pakistan in Usingen an. Für den heute 22jährigen waren Kategorien wie neue Heimat, Berufsausbildung oder persönliche Perspektive nicht existent.

Zuerst einmal bedeutete die Wohngruppe des Hessischen Diakoniezentrums Hephata in Usingen für den unbegleiteten minderjährigen Flüchtling - so die offizielle Bezeichnung damals - Sicherheit, Ruhe und Geborgenheit. Nach seiner Flucht über den Iran und die Türkei bis nach Deutschland war für den Jugendlichen damals rein gar nichts klar. Traumatische Erlebnisse prägten sein junges Leben.

Massaker in der Schulturnhalle

"Mit sechs Jahren, ich war gerade eingeschult und wir hatten gemeinsamen Sport, drangen maskierte Männer in unsere Schulturnhalle ein und richteten ein Massaker an. Zehn meiner Mitschüler sind ermordet worden", berichtet Zafar. "Ich wurde an die Wand geschleudert und blieb dort verletzt und bewusstlos liegen."

Zum Glück waren die körperlichen Verletzungen und Wunden nicht so schwer, dass sie zumindest ohne Untersuchungen in einem Krankenhaus verheilen konnten und äußerlich kaum sichtbare Narben hinterlassen haben. Einschneidend war das folgende einjährige Schulverbot mitsamt Schulschließung.

Die Kinder der Region hatten Angst, zur Schule zu gehen. Die Eltern hatten Angst, sie nach draußen zu schicken. "Wir haben nie verstanden oder erfahren, wer hinter dem Anschlag stand", so der 22jährige. "Dann gab es noch mehrere Versuche, in unserer Provinz Sialkot Kinder zu entführen. Ich durfte nach 18 Uhr nicht mehr unser Haus verlassen."

Als der Vater das erste Mal weinte

Aufgrund der zunehmenden Bedrohung und der Gefahr für Leib und Leben sah er sich zur Flucht gezwungen. Er machte sich auf zu einem monatelangen Weg ins Ungewisse, um dem Unrecht und der Unfreiheit, den Bedrohungen und Lebensgefahren zu entkommen.

"Ich habe meinen Vater am Tag meines Abschieds zum ersten Mal weinen sehen. Da war mir klar: Aus Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber war in all den folgenden Jahren ein Aufgeben für mich keine Option - trotz Todesängsten, erfahrener Brutalität und Hoffnungslosigkeit." Seine mehrmonatige Flucht, bei der er körperliche Misshandlung und psychischen Terror erleiden musste sowie auch mehrmals den Tod vor Augen hatte, wird an dieser Stelle nicht näher beleuchtet. Nur so viel: brutal und schockierend sind seine Schilderungen.

Nach seiner Ankunft in Deutschland wurde er menschlich und persönlich von den Pädagogen der Jugendhilfe-Einrichtung der Hephata unterstützt – aber auch von allen seinen Lehrern. "Nach meinem qualifizierten Hauptschulabschluss habe ich mehrere Praktika in verschiedenen Berufsbildern gemacht", berichtet der junge Mann in sehr gutem Deutsch. "Auch im Kortheuer-Haus von EVIM habe ich angefragt.“ Irina Adolph, damals Pflegedienstleiterin, reagierte sofort und lud Tamoor Zafar gleich am nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch ein. „Älteren Menschen zu helfen, konnte ich mir gut vorstellen. Allerdings kannte ich professionelle Altenpflege bisher nicht“, erinnert sich Tamoor Zafar an die berufliche Weichenstellung in seinem Leben.

Während des zweiwöchigen Praktikums durfte er mit einer Mitarbeiterin deren Berufsalltag erleben, musste Bewohner duschen, Betten machen und den Bewohnern vom Rollstuhl ins Bett helfen. Er kam mit den Anforderungen und mit den Menschen gut zurecht. „Ich habe mich dort sofort wohl gefühlt“, erzählt er. Seine Chefin, Irina Adolph, machte ihm Mut, die dreijährige Ausbildung zum examinierten Altenpfleger zu starten. Umgehend bewarb sich der junge Mann an Berufsschulen und wurde am Hufelandhaus in Frankfurt angenommen. Die praktische Ausbildung sei gut verlaufen. „Wahnsinnig anstrengend“ hingegen sei der Berufsschul-Unterricht im ersten Jahr gewesen, weil er so viele, zum Teil lateinische Fachbegriffe aus der Medizin habe lernen müssen. Unter den 24 Schülern der Berufsschule war aber auch nur ein deutscher Auszubildender gewesen, der den Beruf erlernen wollte.

Schwierigkeiten nach dem Umzug und tatkräftige Hilfe

Schwierig wurde seine persönliche Situation, als er die Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verlassen musste, nachdem er volljährig geworden war. "Ich musste in eine Flüchtlingsunterkunft in Friedrichsdorf ziehen und habe dort ein Zimmer mit zwei anderen Männern geteilt. Weil mir kein PC mehr zur Verfügung stand, musste ich über das Smartphone am Video-Unterricht während der Pandemie teilnehmen. Mehrmals im Monat musste ich meine Handy-Guthabenkarte aufladen." Aber auch hier zeigte sich, wie sehr ihn die Kolleginnen aus dem Kortheuer-Haus tatkräftig unterstützten. Irina Adolph startete einen Aufruf unter den Mitarbeitenden und Angehörigen, um das Wohnungsproblem zu lösen. Zum Glück konnte ihm eine Kollegin ein Ein-Zimmer-Appartement in Eschbach vermitteln. Einiges an Mobiliar und Einrichtungsgegenstände wurden von den Kollegen gespendet. Er habe sich sofort einen Laptop gekauft und konnte so konzentrierter lernen und sich für die Prüfung vorbereiten. Für ihn war die Theorie viel schwieriger als die Praxis im Arbeitsalltag. Dort fand er in dem Leitungsteam eine wichtige Konstante und enorme Hilfe. „Frau Adolph und Frau Scheuech haben mich sehr unterstützt. Ich konnte mich immer auf sie verlassen, besonders dann, wenn es schwierig war“, sagt er mit großer Wertschätzung. Nach einem Jahr hatte es „Klick“ gemacht und von da an ging es stetig aufwärts. Aber auch vom Leitungsteam gibt es viel Lob: „Durch seine offene und ehrliche Art, seine Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, entwickelte sich Herr Zafar zu einem geschätzten Kollegen in unserem Team.“

Schichtleiter und Experte in Verfahrenspflege

Glücklich erinnert er sich an den Tag, als er die letzte Prüfung erfolgreich bestanden hatte. „Zuerst habe ich Frau Adolph angerufen und ihr das mitgeteilt“, sagt er lachend. Und die Einrichtungsleiterin ergänzt mit einem Schmunzeln: „Herr Zafar war stolz wie Oskar.“  Das Lernen war damit natürlich nicht vorbei. Tag für Tag wurde er sicherer im Beruf und sagt heute: „Erfahrung macht den Meister.“ Mittlerweile hat Tamoor Zafar bereits eine Weiterbildung absolviert. Er wurde dadurch zum Experten in Verfahrenspflege, bei dem sich die Kollegen Rat holen. In seiner Verantwortung als Schichtleiter - er ist inzwischen für 40 Bewohner zuständig – sei er „sehr gut hineingewachsen“, wie die Leiterin berichtet. Und Tamoor Zafar, 22 Jahre jung, ergänzt: „Mit Stress umgehen, das kann ich.“  

Als die Taunus-Zeitung über den beruflichen und persönlichen Lebensweg von Tamoor Zafar berichtet hatte, waren auch die Bewohner im Kortheuer-Haus sehr stolz auf ihn. Das machte ihn glücklich und erfüllt ihn mit der Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und am richtigen Ort zu sein. „Ich will mich beruflich weiterentwickeln und hier bleiben“, ist er überzeugt. Das Kortheuer-Haus sei für ihn fast wie eine Familie, hier finde er immer ein offenes Ohr. (mp/hk, 23.11.22)

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